4 9 2021 | moproweb.de
Miese ohne Ende?
Irgendetwas stimmt nicht beim Milch-Marker-Index
mi | mi-Meinung
Kann es sein, dass ein
Wirtschaftssektor
über viele Jahre hinweg
beständig Verluste
produziert und dabei seine
Produktion dennoch immer weiter
steigert und so immer noch
mehr Miese ausweist? Lösen sich
diese kumulierten Verluste irgendwie
über die Zeit hinweg einfach
auf wundersame Weise auf,
so dass zu keiner Zeit in großem
Umfang mit Insolvenzen zu rechnen
ist? Genau dieses in sich widersprüchliche
Bild suggeriert der
sog. Milch-Marker-Index (MMI), der
vierteljährlich vom Büro für Agrarsoziologie
und Landwirtschaft
(BAL) für die MEG Milch Board ermittelt
wird.
Basis für den MMI sind Daten
aus dem von der EU-Kommission
geführten Informationsnetz landwirtschaftlicher
Buchführungen
(INLB), das sich aus von den Mitgliedsstaaten
übermittelten Informationen
speist. Diese Datenbasis
ist besser zur wirklichen Kostenbeurteilung
geeignet als Betriebszweigabrechnungen
(BZA) der
DLG-Spitzenbetriebe, die Daten
nur von teilnehmenden Betrieben
beinhalten, so das BAL gegenüber
der Redaktion. Weiter wird argumentiert,
dass BZA-Daten in den
Bundesländern auf ganz unterschiedliche
Weise ermittelt werden.
Das mag so stimmen, aber
auf EU-Ebene von den einzelnen
Ländern erhobene Daten unterscheiden
sich erfahrungsgemäß
noch sehr viel deutlicher, und: die
INBL-Daten kommen nur von relativ
wenigen Testbetrieben, deren
Ergebnisse dann auf die gesamte
Milchwirtschaft hochgerechnet
werden. 2018 gab es 14.397 dieser
Test-Milchbauernhöfe, die Brüssel
als repräsentativ für 455.581
Milcherzeugerbetriebe
in der EU-
28 wertet. Ob aus einem solchen
Sammelsurium wieder auf einzelne
Länder hinuntergebrochene
Daten Aussagekraft haben, hängt
sehr von der Güte der regionalen
Unternehmensstichproben ab, die
Milchwirtschaft der EU reicht bekanntlich
von Finnland bis Sizilien,
bzw. von Portugal bis Bulgarien,
mit allen regionalen Gunst- oder
Belastungsfaktoren und den daraus
resultierenden Kostenunterschieden.
Mit anderen Worten: es
gibt keine für alle europäischen
und übrigens auch nicht für alle
deutschen Milcherzeuger gleichermaßen
gültigen Referenzwerte
für die Produktionskosten.
Ebenso gibt es keinen Milchpreis,
der für alle Lieferanten als kostendeckend
oder fair definiert
werden könnte, zu unterschiedlich
sind die Gegebenheiten von Hof
zu Hof und von Region zu Region.
Selbst neuerdings drei Indizes
für Deutschland im MMI werden
der Heterogenität nicht annähernd
gerecht. Insgesamt ist der
Milch-Marker-Index also nur eine
Berechnung unter vielen, die alle
zu einem anderen Ergebnis kommen
müssen, weil die Datenbasis
und die Annahmen der Kosten
u.a. für Eigenland und Arbeitsentlohnung
etc. unterschiedlich
sind. Schuldig bleibt der MMI die
betriebswirtschaftliche Erklärung,
warum es trotz permanenter
Vollkostenunterdeckung immer
noch Milchmengenwachstum und
in der Vergangenheit keine
außerhalb des Trends liegenden
Betriebsaufgaben gab. Unbeantwortet
bleibt ferner, warum
wir trotz der dauerhaft ausgewiesenen
Verluste in der
gleichen Zeit positive Eigenkapitalbildungen
bei Milcherzeugungsbetrieben
beobachten
können.
Von daher könnte man die Diskussion
beenden, böte der MMI
nicht permanente Rechtfertigung
für bäuerliche Unzufriedenheit,
die sich ab und zu in durchaus
unangemessen aggressiver Weise
äußert. Dahinter steckt ein
System, denn nur diese Unzufriedenheit
hält Organisationen wie
den dem MEG Milch Board nahestehenden
BDM am Leben. In der
Kalkulation und Erläuterung des
BAL wird außer Acht gelassen,
dass Landwirte in erster Linie Unternehmer
sind – keiner schreibt
ihnen ja vor, dass sie ausgerechnet
Milch erzeugen müssen. Ein
Unternehmer lebt aber immer
von dem, was nach Abzug der
Kosten übrig bleibt. Es sind gerade
die Lohnansätze, deren Höhe in
solchen Kalkulationen maßgeblich
das Ergebnis bestimmen – hier
lässt sich trefflich „manipulieren“.
Und damit stehen wir wieder
vor der Anfangsfrage: Milcherzeugung
wäre in Deutschland
längst Geschichte, wenn der
MMI tatsächlich die sehr vielfältigen
Gegebenheiten widerspiegeln
würde, denkt
Roland Soßna.
ROLAND SOSSNA
REDAKTION
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