KOMPAKT
Unter Wert
Der nicht ganz unumstrittene Nutri-Score hat Fahrt aufgenommen. Jedoch geraten Lebensmittel mit
hohen Nährwerten dabei oftmals ins Hintertreffen. Dazu zählen auch Milchprodukte.
Der Nutri-Score enthält eine diskriminierende
Milchfettbewertung für
Milchprodukte, beklagt Dr. Gisela
Runge vom Milchindustrie-Verband.
Der vom Verbraucherministerium befürwortete Nutri-Score soll
es bekanntlich den Verbrauchern erleichtern, über eine fünfstufige
Farb- und Buchstabenskala – der sogenannten Ampelkennzeichnung
– die Nährstoffzusammensetzung eines Produktes auf
den ersten Blick zu erkennen. Vom dunkelgrünen A für eine günstige
Nährwertzusammensetzung bis zum roten E für eine weniger günstige
Zusammensetzung.
Einige Milchprodukte, vor allem Käse, schneiden bei dieser Bewertung
schlechter ab, als andere Produkte mit deutlich schlechteren
Nährstoffwerten. Wir fragten Dr. Gisela Runge vom Milchindustrie-
Verband in Berlin, warum das so ist.
Milch-Marketing: Frau Dr. Runge, beim Nutri-Score schneidet der
Käse auffallend schlecht ab. Was läuft hier falsch?
Dr. Gisela Runge: Der Nutri-Score beurteilt Lebensmittel auf Basis
von nur wenigen Kriterien. Dadurch werden insbesondere Lebenswww.
mittel mit hohem Nährwert, wie Käse, benachteiligt, weil das positive
Kriterium Proteingehalt durch den Algorithmus begrenzt ist. Unsere
Berechnungen zeigen, dass die meisten Käse derzeit in die orangefarbene
Kategorie „D“ fallen, das ist die zweit-unterste Stufe. Diese
negative Bewertung widerspricht den Ernährungsempfehlungen, wonach
täglich Milch und Milchprodukte – wozu auch zwei Scheiben
Käse gehören – verzehrt werden sollten.
Richtigerweise gibt es eine gesonderte Käse-Regelung im Algorithmus
des Nutri-Scores. Diese geht jedoch an der besonderen Nährstoffzusammensetzung
von Käse vorbei. So ist das Positiv-Kriterium Protein derzeit
auf nur acht Gramm/100 Gramm mit fünf Punkten gedeckelt. Diese
Beschränkung erstaunt, da es dafür unseres Wissens keine wissenschaftliche
Basis gibt. Die Folge ist, dass ein viel zu geringer Proteingehalt berücksichtigt
wird, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel ein Edamer circa
26 Gramm Protein je 100 Gramm enthält. Diese Nutri-Score-Bewertung
stuft daher die meisten Käse unter Wert ein. Die hohe biologische Wertigkeit
der Milchproteine und das Calcium bleiben außen vor.
Betrifft diese Bewertung auch Sortimente aus der weißen Linie?
Sämtlichen Bewertungen der Milchprodukte gemeinsam ist die diskriminierende
Milchfettbewertung, die gesättigte Fettsäuren insgesamt
negativ bepunktet. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen,
dass die Fettsäuren im Milchfett differenziert zu betrachten sind. So
wirken circa 40 Prozent der gesättigten Fettsäuren aus dem Milchfett
neutral beziehungsweise positiv auf die Gesundheit. Dieser Anteil darf
im Bewertungsalgorithmus nicht einfließen. Damit würde sich die Beurteilung
von Milchprodukten, wie von Butter, Sahneerzeugnissen oder
Käse verbessern.
Welche Hinweise oder Empfehlungen geben Sie Ihren Mitgliedern
in den deutschen Molkereien?
Die Verwendung einer erweiterten Nährwertkennzeichnung, wie dem
Nutri-Score, ist freiwillig. Daher entscheidet jedes Unternehmen individuell
über die Anwendung. Der Milchindustrie-Verband setzt sich weiterhin
dafür ein, dass auch der Nutri-Score den ernährungsphysiologischen
Wert von Milch und Milchprodukten angemessen widerspiegelt. Insbesondere
die Kriterien für Protein bei Käse und ruminante Fettsäuren bei
sämtlichen Milchprodukten müssen in den jetzt beginnenden Beratungen
im neu gegründeten europäischen wissenschaftlichen Gremium zum
Nutri-Score überarbeitet werden. Damit würde auch der Forderung des
Wissenschaftlichen Gremiums nach mindestens drei Abstufungen innerhalb
der Produktgruppen nachgekommen. n hw
10 Milch-Marketing • 0 5/2021