Konzepte
Füßen stand, bewarb sie sich bei der Konkurrenz
als Marktleiterin. „Bald darauf erhielt
ich einen Anruf, und man erklärte mir,
dass man jemanden sucht, der den Markt
selbstständig betreibt, und fragte mich, ob
ich mir das auch zutrauen würde.“. Nach
einigen schlaflosen Nächten und langen
Diskussionen in der Familie entschloss sie
sich, ihre Bewerbung aufrecht zu erhalten.
Es folgten einige Gespräche in der regionalen
Rewe-Zentrale und schließlich der
Zuschlag. So kündigte sie Ende 2016 bei ihrem
Arbeitgeber und bereitete sich intensiv
auf ihre Zukunft vor.
Unterstützt wurde sie dabei von der
Rewe und dem eigenen Partnerschaftsprogramm,
das einen Start in die Selbstständigkeit
mit geringem Kapitaleinsatz ermöglicht.
Denn man gründet mit Rewe
eine offene Handelsgesellschaft, verringert
dadurch sein unternehmerisches Risiko
und senkt die finanzielle Einstiegsbarriere.
Darüber hinaus kümmert sich die Rewe
im Voraus um die wichtigsten administrativen
und organisatorischen Details, damit
sich der Händler auf seinen Markt konzentrieren
kann. Damit der Neueinsteiger
optimal auf die Führung seines Unternehmens
vorbereitet ist, gibt es eine Einarbeitungszeit.
Sie ist obligatorisch, aber sehr
individuell, weil auf die Vorkenntnisse des
Kandidaten eingegangen wird.
Schaller brauchte nur sechs Monate,
bis sie für den „Sprung ins kalte Wasser“
fit war. Einerseits hatte sie als angestellte
Marktmanagerin schon viele Erfahrungen
gesammelt und andererseits war bereits ein
Eröffnungstermin für den neuen Markt ins
Auge gefasst. „Dieses halbe Jahr war – besonders
für meine Familie – extrem hart,
aber auch ungeheuer lehrreich“, so Anja
Schaller. Denn sie ging jeweils für vierzehn
Tage in verschiedene von selbstständigen
Rewe-Händlern geführte Märkte, wurde
dort eingearbeitet und mit den speziellen
Merkmalen des jeweiligen Supermarktes
vertraut gemacht. Besonders angetan war
sie von dem ausgeprägten Kooperationswillen
aller Rewe-Kaufleute, bei denen sie
hospitierte. „Egal, wo ich hingekommen
bin, ich wurde immer mit offenen Armen
aufgenommen, und jeder war bemüht, mir
das Beste mitzugeben.“ Hilfreich sei auch
gewesen, dass sie nach den vierzehn Tagen
immer eine Beurteilung bekommen habe,
die sie mit ihren Einarbeitungsbegleitern
besprochen habe, um zu erkennen, bei
welchen Themen sie noch Unterstützung
brauche.
Als größte Herausforderung in ihrer
Einarbeitungszeit bezeichnet Schaller
das Verinnerlichen der Rewe-Systeme.
„Das war mir ganz fremd, weil es nicht
vergleichbar ist, mit dem, was ich vorher
gemacht habe.“ Ein wichtiger Schritt auf
dem Weg in die Selbstständigkeit sei es
auch gewesen, den Unterschied zwischen
„eigener Chef“ und „angestellter Marktmanager“
zu realisieren.
Geblieben ist ihr Führungsstil, den sie
als „prinzipiell locker“ bezeichnet. Nicht
ohne darauf hinzuweisen, dass sie schon
nachdrücklich ihren Willen kundtun könne.
„Ich lege Wert auf ein gutes Miteinander,
auch wenn es hin und wieder nicht
ganz einfach ist. Meine Mitarbeiter sollen
wissen, dass sie mit ihren Anliegen immer
zu mir kommen können“, sagt sie.
Die familiäre Atmosphäre drückt sich
auch in der Ansprache aus, denn die „Chefin“
wird von allen – mit Ausnahme der
Auszubildenden – geduzt. „Das hat sich
von allein ergeben, weil acht meiner Mitarbeiter
mit mir gewechselt sind und ich mit
ihnen schon lange per du war. Viele zu duzen
und andere zu siezen, das funktioniert
nicht“, erläutert Schaller, die ihren rund 30
Angestellten viel Vertrauen schenkt und
Verantwortung delegieren kann.
Das muss sie auch, denn ihr Arbeitsalltag
ist von ihren dreizehn- und sechzehnjährigen
Söhnen geprägt. „Ich versuche, möglichst
oft so gegen zwei Uhr zu Hause zu
sein, um mich um meine Kinder zu kümmern“,
sagt Schaller. So fängt sie morgens
um 5 Uhr mit der Obst- und Gemüseabteilung
an und schaut danach, was sonst noch
zu machen ist, vergibt anstehende Aufgaben
an ihre Mitarbeiter und erledigt einen Teil
der Büroarbeit bis Mittag und den Rest im
„Homeoffice“. Dass diese Arbeitsaufteilung
nur gelingen kann, wenn man sich hundertprozentig
auf sein Team verlassen kann,
weiß die Jungunternehmerin, für die die
Vereinbarkeit von hoher Arbeitsbelastung
und Familie von zentraler Bedeutung ist.
Deshalb antwortet sie auf die Frage nach
langfristigen Zukunftsperspektiven nicht
mit der Übernahme eines weiteren Supermarktes,
sondern mit dem Wunsch, irgendwann
etwas kürzer treten zu können. Dass
das vermutlich ein Traum bleiben wird, ist
ihr allerdings klar. „Denn letztendlich wollen
die Kunden mit der Chefin persönlich
reden“, hat sie festgestellt.
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