Die jüngere Generation entwickelt aktuell ein besonders ausgeprägtes
Problembewusstsein für saliente Nachhaltigkeitsthemen
wie dem Klimawandel (Foto: Pixabay)
len „Fridays for Future“-Bewegung widerspiegelt. Zudem wächst
allgemein die Einsicht, dass vorherrschende Ernährungsgewohnheiten
keine Zukunft haben können, weil selbige langfristig die
ökologische Tragfähigkeit des Planeten überfordern. Letzteres
gilt insbesondere vor dem Hintergrund des exponentiellen Bevölkerungswachstums,
infolgedessen im Jahr 2050 vermutlich
knapp zehn Milliarden Menschen auf dieser Erde leben werden.
Ausgehend hiervon kann mit einem zunehmenden Druck auf die
Agrar- und Ernährungsindustrie gerechnet werden, zumal selbige
in substantieller Weise externe Effekte im Umweltbereich
verursacht. Die Dimensionen dieser Effekte veranschaulicht
eine 2017 veröffentlichte Studie der Heinrich-Böll-Stiftung: Die
20 weltgrößten Fleisch- und Milchbetriebe verursachen gemeinsam
mehr Treibhausgase pro Jahr als Deutschland, eines der
größten Industrieländer dieser Erde.
Interessanterweise – und das ist eine neue Entwicklung – wird
die Diskussion um mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich
immer weniger mit Verzicht in Verbindung gebracht, sondern
positiv aufgeladen. Das Image von nachhaltigen Produkten hat
sich grundlegend geändert und sie werden heute nicht mehr
mit dem schrumpeligen Apfel oder der sauer werdenden Milch
assoziiert. Dieser Imagewandel ist dabei nicht nur auf Produkte
beschränkt, sondern springt gerade auf den Konsumenten über.
So ist es etwa heute cool, ein Veganer oder Vegetarier zu sein.
Apropos vegane und vegetarische Produkte: Im Gegensatz zu
früher muss man sich heute immer weniger zwischen veganer/
vegetarischer Ernährung und Geschmack entscheiden, was ganz
massiv die Massentauglichkeit dieser Produktkategorien befördert.
Exemplarisch sei hier auf das neue Marktsegment für vegane
und vegetarische Wurst- und Fleischprodukte verwiesen,
welche in dem Moment marktgängig wurden, als das vegane/
vegetarische Schnitzel geschmacklich mit seinem fleischhaltigen
Pendant mithalten konnte. Hierin spiegelt sich wider, dass
viele Verbraucher sich zwar gerne besser und gesünder ernäh-
34 7 2019 | moproweb.de
Interessanterweise wird die Diskussion um mehr Nachhaltigkeit
im Lebensmittelbereich immer weniger mit Verzicht in Verbindung
gebracht, sondern positiv aufgeladen (Foto: Pixabay)
ren möchten, aber eben auch den Geschmack von Fleisch- und
Wurstprodukten lieben. Das neue vegane Schnitzel liefert die
Lösung für dieses Dilemma, da es nachhaltigen Konsum ohne
Verzicht möglich macht. Die Auflösung dieses Dilemmas führt
zudem dazu, dass sich hybride Konsumententypen wie Flexiganer
und Flexitarier entwickeln können, was es für Verbraucher
deutlich einfacher werden lässt, die entsprechenden Produkte
in den Warenkorb zu legen.
Die Agrar- und Ernährungsindustrie scheint gut beraten, sich
auf neue Konsummuster einzustellen und den Mut zu haben,
neue Wege einzuschlagen und auch verrückte Dinge zu versuchen.
Dies gilt ganz besonders in Zeiten der Digitalisierung,
welche sich nicht nur anschickt, disruptive Effekte auf allen
Märkten zu bewirken, sondern sich ebenfalls zu einem neuen
Treiber von nachhaltigem Konsum entwickelt. So ist es bereits
heute technisch möglich, Wertschöpfungsketten digital abzubilden
und damit eine ganz neue Form von Transparenz zu
schaffen. Nachhaltigkeitsthemen werden gewissermaßen anfass
und erlebbar, da sich nun zeigen lässt, was genau hinter
abstrakten Idealen wie Umweltschutz und Tierwohl steht und
wie diese auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge wirken.
Spiegelbildlich dazu kommt es zu dem Phänomen, dass die unbequemen
Themen der industriellen Lebensmittelerzeugung
eine potenziell permanente Sichtbarkeit erfahren. Denkt man
an dieser Stelle konsequent weiter, so scheint der Markterfolg
von künstlichen Lebensmitteln auf breiter Front nur noch eine
Frage der Zeit zu sein. Künstliche Lebensmittel haben nicht
nur eine deutlich bessere Nachhaltigkeitsbilanz, sondern sind
aufgrund der Möglichkeit für individuelle Nährstoffmodifikationen
auch aus ernährungsphysiologischer Sicht die bessere
Alternative. Sobald diese geschmacklich dem gewohnten Lebensmittel
ebenbürtig sind, spielt nur noch der Preis eine Rolle.
Letzteres kommt einem irgendwie bekannt vor und doch ist
dann alles anders.
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