mi | mi-Meinung
Die Branche diskutiert nicht nur über
Tierwohl und wie es in der Milcherzeugung
verbessert werden kann, sie hat
tatsächlich bereits proaktiv Schritte hin zu mehr
Tierwohl übernommen – bevor es zu einer öffentlichen
Diskussion mit all ihren unwägbaren
Folgen gekommen ist. Dies wurde auf dem Milchpolitischen
Frühschoppen des Milchindustrie-Verbands
deutlich, den dieser traditionell im Umfeld
der Grünen Woche in Berlin organisiert. Die Rede
2 2 2019 | moproweb.de
Tierwohl
braucht eine breite Basis
Die Branche kann die Dinge sehr wohl in Eigenregie regeln
Alle reden, ein paar tun’s
Vom Sinn und Zweck jeder Ethik im Grundnahrungsmittel
Alle reden über Tierwohl. Alle? Wohl
kaum. Man sollte einmal mit wachen
Augen zu Aldi gehen und nicht bloß
auf die einen erschlagenden vielen Sonderangebote
schielen, sondern sich das dort versammelte
Publikum anschauen. Ohne dass man
gleich pauschal abwerten würde, wird man
doch erkennen, dass sich gefühlte 99 % der
Aldi-Kunden einen echten Dreck um Tierwohl
scheren. Sie kümmern sich augenscheinlich
mehr um den meist begrenzten Inhalt ihrer
Geldbörse und um ihr leibliches Wohl. Stellt
man ihnen ein „Cow Fair“ Produkt vor die Nase,
das auch nur einen Cent mehr kostet, greifen
sie zuverlässig und ohne Schuldgefühl zum
Erzeugnis, das ohne Ehrfurcht für Schöpfung
und Kreatur daherkommt.
So sind wir Menschen nun mal programmiert,
da können sich die NGOs ihr ganz anderes Bild
erträumen, die Realität ist eben leider hart.
Fressen und möglichst nicht gefressen werden,
Punkt. Und was die Ernährung anbelangt,
schmackhaft und reichlich soll sie sein. Wo das
Zeug herkommt und wie es produziert wird, ist
im Zweifelsfall schlicht und einfach egal. Sonst
würde es ja auch nicht an jeder Ecke eine Currywurst
& Pommesbude geben, von Döner gar
nicht zu reden.
Trotzdem ist es klug, wenn sich die Hersteller
mit ethischen Fragen belasten, denn wer weiß,
irgendwann bliebt ein von den NGOs konstruierter
Skandal vielleicht doch in den Köpfen
der Verbraucher hängen und dann ist das Klagen
groß. Die Vorsorge kann allerdings nicht zu
100 % erfolgen, denn die so überaus korrekte
Michbranche dürfte den berufsmäßigen Provokateuren
und Aufwieglern möglicherweise
ob deren Abgefeimtheit nie gewachsen sein,
denkt Roland Soßna.
ROLAND SOSSNA
REDAKTION
ist vom Nachhaltigkeitsmodul für QM-Milch, das
explizit auch auf das Tierwohl fokussiert.
Zwar sind aktuell erst 34 Molkereien und deren
angeschlossene Milcherzeuger in dem laufenden
Pilotprojekt engagiert, in dem eine breite Datenbasis
für Schlussfolgerungen über den besten
Weg zur Verwirklichung des Tierwohls im Milchsektor
gewonnen werden soll. Doch zeichnet sich
schon jetzt ab, dass dieser eindeutig in die Breite
der Branche führende Ansatz der einzige bleiben
wird, der mittelfristig Aussicht auf Akzeptanz und
Konsens hat. Alternative Ansätze wie z. B. der des
Deutschen Tierschutzbundes dürften, so gut ihre
Intention auch zu werten sein mag, allenfalls Insellösungen
für eine sehr begrenzte Zahl an Höfen
und sehr enge Nischenmärkte werden. Denn diese
Konzepte bedürfen eines deutlichen Mehrerlöses
im Markt, um sich finanzieren zu können. Und dafür
sind zumindest im ohnehin schwächelnden Markt
für Konsummilch eher wenig Chancen gegeben.
Während das Bundesernährungsministerium
emsig an seinem Tierwohl-Signet bastelt, damit
aber auf Sicht gar nicht auf die Rinderhaltung
fokussiert, ist das Deutsche Tierschutzlabel
für eine breite Verwendung unbrauchbar. Denn
alle Höfe mit einem Kuhbestand von über 600
Stück scheiden infolge der durch die Organisation
gesetzten Obergrenzen ohnehin aus. Damit
ist ein erheblicher Teil der deutschen Milcherzeuger
aus rein ideologischen Gründen von der
Teilnahme ausgeschlossen – womit sich dieses
Tierschutz-Siegel de facto selbst erledigt hat.
Zudem ist neben beträchtlichen Investitionen
in Ställe und Hofflächen auch mit relativ hohen
Lizenzgebühren zu kalkulieren, was das Portfolio
an aus unter den vorgegebenen Bedingungen
hergestellten Mopro – und damit die Erlösmöglichkeiten
– überaus einengt.
Wie es aktuell aussieht, wird QM-Milch bzw.
dessen Nachhaltigkeitsmodul zunächst ohne
ein neues Label auskommen. Es bleibt zu hoffen,
dass bald alle oder zumindest ein großer Teil
der deutschen Landwirte nach den Standards
des Nachhaltigkeitsmoduls produzieren werden.
Was diese Standards konkret für Tier und
Mensch (Verbraucher) bedeuten, muss natürlich
kommuniziert werden. Dies wird Aufgabe
der noch verbliebenen, mit Gemeinschaftswerbeaufgaben
betreuten Einrichtungen und der
relevanten Branchenverbände, möglicherweise
auch sich dazu berufen fühlender Molkereiunternehmen
sein, meint Roland Soßna.