6 9 2020 | moproweb.de
Realität nicht
aus dem Blick verlieren
Unsicherheiten wohin man schaut
Märkte darf man
weder schlecht
reden noch
schlecht schreiben.
Aber man sollte bei aller
gebotenen Taktik und allem (für
jede wirtschaftliche Tätigkeit
unerlässlichem) Optimismus
die Realität nicht aus dem Blick
verlieren und sich an eigener
Schönrederei ergötzen. Wenn
Spitzenvertreter des bäuerlichen
Berufsstandes erklären,
dass die Molkereien im Großen
und Ganzen je nach Vermarktungsweg
und Produktpalette
bislang einigermaßen gut durch
die Coronakrise gekommen seien,
stimmt dies einfach nicht.
Der Lockdown und die radikal
schnell veränderten Nachfragestrukturen
haben zusammen
mit Exporteinbrüchen Spuren
in jeder Molkereibilanz hinterlassen.
Selbst Unternehmen,
deren Produktmix insofern
stimmte, als dass sie von der
Herstellung für den Gastrobereich
„einfach“ auf den LEH
umstellen konnten, beklagen
Gewinneinbrüche. Einbußen,
die sie nicht aufholen können.
Die genauen Auswirkungen
wird man allerdings erst in den
Jahresbilanzen für 2020 sehen
können, was eine bis ins kommende
Jahr hinein anhaltende
Verzerrung der Bewertung
der wirklichen Corona-Folgen
mi | mi-Meinung
bedeutet. Vor diesem Hintergrund
ist es überraschend, dass
die Milchpreise gar nicht so sehr
gelitten haben, wie anfangs bei
der Verhängung der Lockdown-
Maßnahmen angenommen
werden musste. Tatsächlich
scheint es eher eine Seitwärtsbewegung
bei der Auszahlung
gegeben zu haben. Wenn aktuell
nun ein Trend zu höheren
Milchpreisen beobachtet
wird, dann ist er wohl eher der
Konkurrenz um den Rohstoff
geschuldet, nicht aber der Verwertung
und schon gar nicht
der Erlössituation im Milchgeschäft.
Die Prognose dieser
Redaktion lautet – ökonomisch
vorsichtig wie immer –, dass
der Aufwärtstrend, wenn er
denn einer ist, möglicherweise
nicht allzu lange anhalten kann.
Denn die Märkte sind von einem
bislang nie da gewesenen Szenario
der Unsicherheit geprägt,
Unsicherheiten, die Milchverarbeiter
einpreisen müssen. Da ist
zum einen die nach einem kurzen
Nachfrageboom in China
angesichts des bevorstehenden
Höhepunktes der Milchsaison
auf der Südhalbkugel
eingenommene Abwartetaktik.
Da ist zum anderen der Brexit
mit all seinen Unwägbarkeiten
– Corona mag den Blick auf die
Briten für eine Weile abgelenkt
haben. Und da ist natürlich die
ROLAND SOSSNA
REDAKTION
sich auf das Exportgeschäft
enorm negativ auswirkende
weltweite Rezession. Der Milchpreis
hierzulande, wir erinnern
uns, ist in seiner Höhe direkt
abhängig von den Ausfuhrmöglichkeiten
in zahlungskräftige
Drittländer. Und da sieht es
aktuell und auf Sicht mau aus.
Die Erdölexporteure haben angesichts
des Preisverfalls wenig
Geld, die Wirtschaft in wichtigen
Schwellenländern wächst
nicht mehr so stark wie bisher,
an manchen Orten werden ordentliche
Minusraten verbucht.
Das bedeutet automatisch,
dass die Importnachfrage nach
Mopro verhalten bleibt und zuweilen
nahezu völlig wegbricht.
Deutsche Milcherzeugnisse
müssen sich dann andere Wege
in Märkte suchen, was durchaus
auch Preiszugeständnisse
erforderlich machen könnte.
Alles in allem: die kurzfristigen
Aussichten sind keinesfalls
so rosig, wie manche Verbandsfürsten
zu denken scheinen. Es
ist gewiss kein Anlass für Panik
oder blinden Aktionismus gegeben,
vielmehr sollten alle Erwartungen
an den Markt, auch
an den für den Rohstoff Milch,
an der Realität bemessen werden,
denkt Roland Sossna.
/moproweb.de