Die Probleme beginnen beim Melken und Zwischenlagern auf
dem Hof (Abbildung: Fischerplanning)
7 2017 | moproweb.de 15
Das kollaterale Gesundheitsrisiko ließe sich am wirksamsten reduzieren,
wenn infektiöse Mikrobiologie die Lebensmittel erst
gar nicht befrachten würde, wenn es gelänge, etwa Milchprodukte
physikalisch gegen Stall- und Hallenluftverunreinigungen
abzuschirmen. Die Industrie beschäftigt sich mit entsprechenden
Verfahren. Für die Getränke- und Lebensmittelproduktion stellte
schon vor einigen Jahren das deutsch-israelische Unternehmen
Fischer Planning aus Netanya/Israel eine Filtertechnik vor („Sterivent“),
die durch Überdruck die Halb- und Fertigprodukte in den
Lagerbehältern keimfrei – ultra-clean – hält. Für den permanenten
Überdruck, selbst bei sinkendem Füllstand, sorgt ein Gebläse im
Sterilfilter in Verbindung mit einer Regelungselektronik. Folge: Gefilterte
Luft kann über eventuelle Undichtigkeiten nur von innen
nach außen strömen, der Überdruck versperrt der Luft den Weg
von außen nach innen. Ein modifiziertes Prinzip stülpt ebenfalls
über die Abfüll- und Verpackungsmaschinen eine Glocke von entkeimter
Luft („Laminarflow“). Von Coca Cola über Müller-Milch bis
Nestle setzen Hersteller diese Prävention weltweit ein, von Australien
über Europa bis USA und Kanada. Damit ist der Kontamination
zumindest diese dritte Tür für den Zutritt an das Lebensmittel,
über die Luft im Produktionsbetrieb oder der Molkerei, versperrt.
(Nebenbei, selbst öffentliche Wasserversorger wie die Stadtwerke
Paderborn und Lingen bestücken mittlerweile ihre Hochbehälter
mit diesem System.)
Überdruck auf Vakuum
Die erste Tür, schon im Tier belastete Milch, müssen die Kontrollen
der Veterinäre schließen. Die Tür des zweiten Gangs der Keimwanderung
von Tier auf Mensch, über die Stall- und Melkstand-Luft
als Träger infektiösen Materials, ließ sich vorbeugend mit physikalischen
Verfahren bisher nicht verriegeln. Statt Vorsorge musste
die geschilderte Nachsorge mit chemischen Produkten zur Sterilisierung
und zur Stabilisierung der Haltbarkeit einspringen. Nun
hat aber wieder der Molkereianlagen-Spezialist Fischer Planning
ein deutsches Patent auf eine Melkmaschinentechnik erhalten,
die keine Stallluft in den Melkbecher hinein lässt. Auch dieses
Verfahren arbeitet mit Überdruck. Vereinfacht gesagt überflutet
es den Zitzenbecher solange mit Sterilluft aus der genannten
Ultra-Clean-Filtertechnik, bis das Ventil fest am Euter sitzt. Der
Überdruck der Luftglocke liegt oberhalb des Melkvakuums von
etwa 40 kPa. Er kommuniziert bis in den Milchkühltank hinein und
versperrt so auch hier den Luft-Schadstoffen den Zutritt zur
Rohmilch. Dadurch verbessert sich erstens deren Qualität und
zweitens verlängert dieses Verfahren die erlaubte Zeitspanne bis
zur Verarbeitung.
Darüber hinaus dürften auch Landwirte mit Milchtankstellen
davon profitieren. Seit der Abschaffung der Milchquote vor zwei
Jahren setzten immer mehr Höfe auf die Direktvermarktung ihrer
Erzeugnisse. Über Milchtankstellen etwa bieten die Bauern
ihren Kunden melkfrische Rohmilch aus eigener Herstellung zum
Selbstabfüllen an. Da die Natur belassene Milch weder homogenisiert
noch pasteurisiert ist, bleiben wertvolle Inhaltsstoffe und
das spezielle Aroma erhalten. Allerdings stellen die Vorschriften
besonders strenge hygienische Anforderungen an derartige Tankstellen.
So muss die Rohmilch spätestens am Tag nach der Gewinnung
abgegeben sein. Mit der Fischer-Technik ließe sich das Haltbarkeitsdatum
verschieben, sollten es die Behörden akzeptieren.
Ideal für alle
Es erübrigt sich, auf den Gewinn bei Lagerung, Transport, Verarbeitung
und Vermarktung hierzulande von keimarmer Rohmilch
einzugehen. Noch mehr schlagen diese Vorteile aber in der Zweiten
und Dritten Welt durch. Fischer Planning spricht von einem
immensen Nutzen für die Molkereibetriebe und natürlich für die
hygienische Versorgung der Bevölkerung etwa in Indien und anderen
süd- und südost-asiatischen Ländern. Die deutsch-israelischen
Planer und Entwickler hatten sich dort umgeschaut und mit Produktionsbetrieben
gesprochen. Mehrheitlich melken dort die Bauern
ihre ein, zwei oder maximal drei Kühe wie in Deutschland vor
50 Jahren von Hand und tragen die Kannen zu einer Sammelstelle.
Dort müssen sie spätestens nach einer halben bis einer Stunde
von Kühlfahrzeugen abgeholt werden, weil sonst die Milch bereits
angegärt und nicht mehr verwertbar wäre. Die Großbetriebe
müssen deshalb Flotten und Personal von bis 50 Tankfahrzeugen
unterhalten, die permanent über die Dörfer fahren. Fischer Planning
denkt deshalb unter anderem an lokale Kleinmelkanlagen für
die Kühe des Umfelds. Mit dem taufrischen Patent richtet sich das
Unternehmen folglich weniger an die Landwirte – die in Deutschland
mangels ergiebigen Milchpreises ohnehin nicht investieren
würden, da ihre abgelieferte Qualität ja den Vorschriften entspricht
–, sondern an die Prozessanlagenbauer und Molkereibetriebe.
Für Indien beispielsweise stellt man sich dezentral verteilte
Container mit Melkstand und Kühltank vor, der den Kühen hygienisch
die Milch abnimmt und mindestens einen Tag einlagert.
Allein die Fahrzeugflotte, so haben die Gesprächspartner dort
ausgerechnet, sollte sich so auf 15 bis 20 Fahrzeuge reduzieren.
Die höhere Qualität ließe darüber hinaus zu, nicht, wie heute
in vielen asiatischen Ländern üblich, das Rohprodukt lediglich zu
preiswerter Trinkmilch und zu einer preiswerten Art Kochkäse
aufzubereiten. Die keimarme Anlieferung gestattet zudem eine
höhere Veredlungsstufe mit besseren Erträgen. Für die Molkereiindustrie
hierzulande sieht man ebenfalls viele Vorteile. Man sei mit
der Überdrucktechnik jetzt in der Lage, eine Ultra-Clean-Kette zur
Produktion von Molkereiprodukten ohne Haltbarkeitsstoffe vom
Bauernhof bis zur Verpackung aufzubauen.