4 8 2021 | moproweb.de
Die Märkte der
Zukunft entwickeln
sich gerade jetzt
Die Zeit rennt
mi | mi-Meinung
Jetzt und hier werden die
Märkte der Zukunft vergeben.
Gemeint ist die Präzisionsfermentation,
mit der
naturidentische, wertgebende
Milchinhaltsstoffe produziert
werden. Diese weiße Gentechnologie
steht an der Schwelle zur
Kommerzialisierung. So lässt das
US-Start-up Perfect Day aktuell
4.000 t β-Lactoglobulin bei der
zu Olon gehörenden Capua Bio-
Services herstellen. Bei dieser
Größenordnung kann man kaum
noch von einer Pilotproduktion
sprechen, der industrielle Maßstab
ist bereits erreicht. Und die
Zulassung dieses Milchproteins
als Lebensmittelzutat dürfte in
Asien, den USA, auf Sicht auch
in der EU, nur eine Frage der Zeit
sein.
Wo steht die Milchindustrie in
diesem Szenario? In der Regel
weit außen am Rand. Während
viele Unternehmen der Milchverarbeitung
eifrig im (Schwerpunkt
me-too?) Entwickeln und Produzieren
von pflanzlichen Mopro-
Alternativen engagiert sind, sind
es nicht einmal eine Handvoll, die
sich an der Präzisionsfermentation
interessiert zeigen. Diese Ignoranz
der Branche könnte sich
bald bitter rächen, denn die großen,
branchenübergreifenden
Investoren haben sich entweder
bereits Rechte gesichert oder sie
liegen auf der Lauer nach dem
ganz großen Schnäpper. Man sollte
sich hierbei vor Augen halten,
dass die tierische Veredelung aus
der Klimadiskussion nicht mehr
herauskommen und zwangsläufig
Federn lassen wird.
Pflanzliche Ersatzmopro imitieren
immer nur das Original. Sie
werden aber niemals die volle
Performance von echter Milch
haben, denn diese hängt direkt
und mit pflanzlichen Rohstoffen
nicht nachbaubar an den Milchproteinen.
Käsesubstitute aus
irgendwelchen Pflanzen werden
auch in zehn Jahren eher nur ein
Nischendasein führen, ihre Mängel
an Geschmack und Textur
sind und bleiben offensichtlich.
Bei naturidentischen Milchinhaltsstoffen
ist das ganz anders.
Aus ihnen lassen sich Erzeugnisse
herstellen, die mit allen Mopro,
auch Premiumkäsen mithalten
können. Die Quadratur des Kreises
scheint zumindest hier möglich:
denn das gesamte bekannte
Käsesortiment kann 100 Prozent
auch vegan hergestellt werden,
lassen wir das Fett einmal außer
Acht. Welche Marktchancen dies
eröffnet, muss an dieser Stelle
nicht extrapoliert werden.
Noch ein zweiter Faktor spielt in
die Überlegung herein: die Milcherzeuger
zumindest in Europa
sind überaltert. Es ist ganz und
gar nicht sicher, dass die jetzige
Milchmenge auch noch in 15 Jahren
zur Verfügung steht, schon
gar nicht, wenn man bedenkt,
in welchem Feuer der (überzogenen)
Kritik die Milch- und Fleischerzeugung
stehen. Mancher
potenzielle Hofnachfolger wird es
sich überlegen, ob er sich solchen
Zumutungen aussetzen sollte.
Daneben wird natürlich auch der
Green Deal das Milchaufkommen
schmälern.
Aber wie kann die Branche in der
Breite an Rechte und Know-how
in der Präzisionsfermentation
kommen? Einzelne Unternehmen
sind zu oft klein, um die nötigen
Investitionen in Beteiligungen
und den Aufbau von Fachwissen
tragen zu können. Wieder einmal
bietet sich eine Gemeinschaftslösung
nach Art der Branchenkommunikation
an, etwa indem
die Milchindustrie eine Art Investitions
Zukunftsfonds zur Rohstoffsicherung
auflegt. Dieser
könnte die nötige Expertise einkaufen,
um Stroh und Weizen bei
den Start-ups zu trennen und zu
identifizieren, wo eine Investition
optimale Erfolgschancen hat. Die
Zeit jedenfalls rennt davon, denn
die wirklich Großen wie Blackrock,
die kanadischen Pensionsfonds
oder Gates usw. sitzen auf Geld
und werden in die Präzisionsfermentation
einsteigen, sobald
sich abzeichnet, dass diese ein
Multi-Milliardengeschäft wird.
Und dann, denkt Roland Soßna,
werden die Eintrittspreise zu den
Start-ups in unermessliche Höhen
schnellen.
ROLAND SOSSNA
REDAKTION
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