Chris Gooderham, Milchmarktexperte bei der britischen AHDB Dairy, hat einige interessante Gedanken zu den längerfristigen Problemen und Herausforderungen des (britischen) Milch-Sektors zu Papier gebracht, die aber ebenso Gültigkeit für Molkereien auf dem Kontinent haben.
Mi „Future five“ bezeichnet Gooderham die Schlüsselbereiche, die es für die Zukunft zu beobachten gilt:
- Immer mehr Milch wird in Fertigprodukten verwendet
- Damit einhergehende Wertsteigerung der Milchtrockenmasse
- Permanentes Risiko für eine Disruption
- Steigender Bedarf an Flexibilität, Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit
- Gefahr, dass ein höheres Effizienzniveau die Anpassungsfähigkeit verringert.
Der globale Handel
Die FAO prognostiziert für das Jahr 2020 einen coronavirusbedingten Rückgang der Weltexporte um 4%, wobei die Importnachfrage nachlassen wird – dies ist der stärkste Rückgang im Jahresvergleich seit drei Jahrzehnten.
Die durch die Pandemie verursachten weit verbreiteten Störungen haben den Handel beeinträchtigt, obwohl sich die Milchmärkte, abgesehen von einigen anfänglichen kurzfristigen Herausforderungen, insgesamt als relativ widerstandsfähig erwiesen haben. Die FAO rechnet jedoch weltweit mit einer weit verbreiteten wirtschaftlichen Abschwächung. Niedrigere Erdölpreise werden erhebliche Auswirkungen auf die ölreichen Länder und ihre Fähigkeit haben, sich importierte Milchprodukte leisten zu können.
Hinzu kommt, dass der Brexit jetzt eine Gewissheit ist, obwohl wir noch nicht wissen, wie die endgültige Handelsbeziehung aussehen wird. Das Wechselkursrisiko und die allgemeine Störuung des Handels geben weiterhin Anlass zur Sorge, Unsicherheit dürfte die gesamte Lieferkette risikoscheuer machen.
Die Besorgnis über den Handel nach dem Brexit spiegelt jedoch einige der frühen Coronavirus-Fragen wider, bei denen es darum ging, sicherzustellen, dass die Regale während des Lockdown voll waren:
- Wie komplex ist die Lieferkette?
- Wie abhängig sind wir bei Fertigprodukten oder wichtigen Inhaltsstoffen von Importen?
- Wie abhängig sind wir von bestimmten Exportmärkten, und wie leicht und schnell könnten wir zu alternativen Märkten wechseln?
Die fortwährenden Unruhen im globalen Handel machen deutlich, dass die Unternehmen florieren werden, die klug genug sind, e Chancen zu erkennen und ausreichend Agilität und Flexibilität haben, um davon zu profitieren. Was jedoch möglicherweise noch wichtiger ist, ist, dass die Unternehmen schnell auf Herausforderungen reagieren, was auch immer sie sein mögen, und die Widerstandsfähigkeit besitzen, sie zu überstehen.
Verbrauchstrends
In den letzten Monaten haben sich die Verbraucher im Allgemeinen von “geldreich/zeitarm” zu “geldarm/zeitreich” gewandelt. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz und die Zunahme der Reisetätigkeit werden viele Menschen wieder in Zeitnot bringen. Mehr Heimarbeit könnte einigen den Luxus erlauben, an ihren Gewohnheiten festzuhalten. Für andere wird Arbeitslosigkeit die Haushaltsfinanzen unter Druck setzen und bedeuten, dass Einkäufe auf das Notwendigste beschränkt werden.
Einige Gewohnheiten werden möglicherweise länger anhalten. Der Übergang zum Online-Shopping zum Beispiel wird wahrscheinlich eine Zeitersparnis sein, die nur wenige aufgeben wollen. Der Online-Verkauf von Lebensmitteln an Verbraucher bringt jedoch eine andere Dynamik und andere Herausforderungen mit sich. Wie bringt man zum Beispiel ein neues Produkt auf den Markt, wenn die Werbung im Regal nicht sichtbar ist und die Verbraucher ihre ihnen bekannten Favoriten einfach in einen virtuellen Einkaufswagen legen?
Einer der wichtigsten langfristigen Trends, die wir gesehen haben, ist die Art und Weise, wie die Verbraucher ihren Milchkonsum verändert haben. Während der Milchkonsum insgesamt weiter zunimmt, zeigt der Pro-Kopf-Verbrauch eine Bewegung weg von Flüssigmilch und hin zu Fertigprodukten wie Käse. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Käse wird irgendwann einen natürlichen Sättigungspunkt erreichen, obwohl es dafür noch keine Anzeichen gibt. Mit dem Bevölkerungswachstum, den Veränderungen des Binnenverbrauchs und der weiteren Zunahme der Exporte sehen wir jedoch einen deutlichen Anstieg des relativen Wertes der Milchtrockenmasse.
Was bedeutet das für die britische Milchwirtschaft in den nächsten 10 Jahren?
Zunächst erwarten wir einen Anstieg der Exporte und des Inlandsverbrauchs von Käse, so dass bis 2030 etwa 27% der britischen Milch in Cheddar gehen werden
Die britische Milchproduktion muss gesteigert werden, um die sich verlagernde Nachfrage zu decken, möglicherweise von 15 Milliarden auf 16 Milliarden Liter pro Jahr bis 2030.
Parallel einher geht eine allmähliche Verringerung des Anteils an Milch, die in flüssiger Form konsumiert wird.
Statt der historischen 50:50-Aufteilung könnten in fünf Jahren 60% der Milch im Land für Fertigprodukte und nur 40% für den Flüssigmarkt bestimmt sein. Dies hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir die Milch bezahlen, der Bedarf an Milchtrockenmasse wird steigen.
Umwelt und Nachhaltigkeit
Der Beginn des Jahres 2020 hat die Besorgnis über extreme Wetterereignisse erneut bestätigt, und es ist wahrscheinlich, dass solche Ereignisse häufiger auftreten und die Produktion weiterhin beeinträchtigen werden. Das wirft zentrale Fragen zu Exposition und Risiko auf:
- Haben Sie eine Risikobewertung für extremes Wetter, sei es Dürre oder Überschwemmung, durchgeführt?
- Gibt es Maßnahmen, die Sie ergreifen können, um das Risiko zu mindern?
- Was haben Sie aus früheren Wetterkapriolen gelernt; was hat funktioniert und was nicht?
Wir sollten aufhören, extreme Wetterereignisse als Überraschung zu betrachten und die Unternehmen einer Risikobewertung unterziehen, um zu verstehen, welche Ereignisse das Potenzial haben, die meisten Störungen zu verursachen. Wenn zum Beispiel Hochwasserperioden, gefolgt von Dürreperioden, zur neuen Norm werden sollten, welches Wassermanagement brauchen wir dann, um Widerstandsfähigkeit aufzubauen?
Gleichzeitig treiben Umweltbelange die Entscheidungen der Verbraucher in Bezug auf die Wahl der Lebensmittel immer mehr an. Die Unterstützung für die britische Landwirtschaft verändert sich und wird zunehmend von einer Philosophie der “öffentlichen Gelder für öffentliche Güter” geleitet werden. Obwohl kurzfristig das Gesamtniveau der verfügbaren Unterstützung gleichbleiben könnte, wird die Höhe des verteilten Geldes auch von der Gestaltung und Inanspruchnahme von Umweltprogrammen abhängen.
Die Lebensmittelversorgungsketten werden sich ändern müssen, um das Versprechen der Regierung zu erfüllen, bis 2050 netto null CO2 zu erreichen, und es ist zu erwarten, dass sowohl die Politik als auch die Verbraucher Druck auf die Lebensmittelproduzenten ausüben werden, um das Land bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu unterstützen.
Flexibilität versus Effizienz
Die Herausforderungen des Jahres 2020 haben bereits einen Schwerpunkt auf die Flexibilität und Belastbarkeit von Unternehmen und Einzelpersonen in der gesamten Lieferkette gelegt. Wenn sich der Staub jedoch zu legen beginnt, gibt es einige grundlegende geschäftliche Fragen, die eine Überlegung wert sind:
- Länge und Komplexität der Lieferketten
- Abhängigkeit von einem Produkttyp oder einem Marktzugang
- Ausmaß der freien Kapazität und Fähigkeit, mit Nachfragesteigerungen fertig zu werden.
Wichtiger werden Flexibilität in der Produktion, der Grad der Automatisierung und die Fähigkeit, mit einem Personalabbau oder mit sozialer Distanzierung fertig zu werden. Automatisierung mag wie die Antwort erscheinen, kann aber einfach zu einem erhöhten Bedarf an technischer und ingenieurtechnischer Unterstützung führen.
Die Abhängigkeit von Einzelpersonen und die Notwendigkeit der Flexibilität des Personals ist zu beachten. Kann das Personal z.B. andere Arbeitsplätze abdecken?
Schauen Sie auch auf die Lagerbestände an Fertigprodukten, wichtigen Inhaltsstoffen oder Verpackungen.
Schlussfolgerung
Mit dem Brexit wird die britische Lieferkette ihre Sichtweise der Verbrauchernachfrage im In- und Ausland neu bewerten müssen. Der britische Markt war lange Zeit durch eine offenkundige Konzentration auf Flüssigmilch und Einzelhandelskunden gekennzeichnet. Die Realität sieht so aus, dass wir, wenn wir die sich bietenden Chancen nutzen wollen, in Bezug auf internationale Reichweite und Produktportfolios weiter denken müssen.
Wir wissen zwar immer noch nicht, wie die Wettbewerbsbedingungen für den Handel im Umfeld nach dem Brexit aussehen, aber wir wissen, dass die weltweite Nachfrage weiter steigt. Das Bevölkerungs- und Pro-Kopf-Einkommenswachstum werden weiterhin als Hauptantriebskräfte wirken. Wie können wir also konkurrieren? Wir mögen zwar nicht die billigsten Rohstoffproduzenten sein, aber wir wissen ganz sicher, wie man Milchprodukte von Weltklasse herstellt, und ich sehe eine Nachfrage nach Lebensmitteln mit höherem Mehrwert unter Nutzung der Herkunft, die GB bietet.
Dies könnte eine Anpassung der Milchverwendung erforderlich machen, um sicherzustellen, dass wir die richtigen Produkte für die richtigen Verbraucher herstellen. Da der Anteil der Milch, der für Fertigprodukte verwendet wird, im Vergleich zum Flüssigmarkt zunimmt, wird die Bedeutung der Milchtrockenmasse immer offensichtlicher werden.