Wenn eine globale Rezession der Milchproduktion – das heißt, zwei aufeinanderfolgende Rückgänge der Erzeugung in den wichtigsten Exportregionen von Quartal zu Quartal im Vergleich zum Vorjahr – überhaupt möglich ist, dann befindet sich die Welt seit Januar 2022 in einer solchen. Das schreibt Mary Keough Ledman von der Rabobank in einem Beitrag zu der neuen Ausgabe von „The World Dairy Situation 2022“ des Internationalen Milchwirtschaftsverbands.
Die Milcherzeugung in den sieben großen Milchexportregionen (Argentinien, Brasilien, Uruguay, Australien, Neuseeland, die EU-27 und die USA) ist im dritten und vierten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Und diese Regionen verzeichneten weiterhin Rückgänge gegenüber dem Vorjahr.
Seit Mitte 2021 haben die Milcherzeuger in Europa, Ozeanien, den USA und Südamerika Schwierigkeiten, die Milchproduktion zu steigern, und zwar nicht wegen politischer Änderungen, sondern eher wegen schwacher Margen und/oder klimatischen Bedingungen. Rabobank schätzt, dass das Wachstum der Milchproduktion in den Big-7-Regionen in der ersten Hälfte des Jahres 2022 um 1,6 % gegenüber dem Vorjahr zurückging. Für die zweite Jahreshälfte 2022 wird ein positives Wachstum – gegenüber einem niedrigen Vergleichswert – erwartet, was aber immer noch zu einem geschätzten Verlust von 0,7 % für das Gesamtjahr führt. Vorläufige Prognosen für 2023 deuten auf ein unter dem Trend liegendes Wachstum von 0,5 % hin.
Hohe und sogar rekordhohe Erzeugermilchpreise in den meisten Regionen haben kein Produktionswachstum ausgelöst. Die Milchviehbestände in Neuseeland und Europa haben nur ein begrenztes Wachstumspotenzial und werden angesichts der derzeitigen und vorgeschlagenen Auflagen und Umweltbelastungen eher schrumpfen. Dadurch befinden sich die USA in einer beneidenswerten Position, die Inbetriebnahme zusätzlicher Verarbeitungskapazitäten bis 2025 befreitet sie auf ein Marktwachstum vor.
Nachdem die Milchwirtschaft die weltweite COVID-19-Pandemie überstanden hat, steht der Milchsektor vor einer neuen Herausforderung – der Inflation. lnflationsdruck führt zu einer geringeren Nachfrage in den Industrie- und Entwicklungsländern, da die Verbraucher mit einer globalen Inflationswelle konfrontiert sind, wie es sie seit den 1970er Jahren nicht mehr gab.
Während die Verbraucher in den Industrieländern in der Regel widerstandsfähiger gegen höhere Preise sind, waren die Auswirkungen der steigenden Energie- und Kraftstoffpreise diesmal so gravierend, dass sie auch das Konsumverhalten in der westlichen Welt verändert haben. Im Juli 2022 stiegen die Verbraucherpreisindizes für Molkereiprodukte weltweit stark an, wobei die brasilianischen Verbraucher einen Anstieg von 41 % gegenüber dem Vorjahr hinnehmen mussten, gefolgt von den Niederlanden mit 17 % und den USA mit 15 %.
Rabobank schätzt, dass Chinas Selbstversorgungsgrad bei der Milchproduktion von knapp über 70 Prozent im Jahr 2018 auf 75 Prozent im Jahr 2021 und fast 80 Prozent im Jahr 2023 gestiegen ist.
Im Jahr 2022 waren Chinas Importe in Flüssigmilchäquivalent ohne Molke (LME) in der ersten Jahreshälfte um 13 % niedriger als im Vorjahr. Vorausschauend wird erwartet, dass Chinas LME-Milchimportnachfrage in der zweiten Jahreshälfte um mehr als 40 % gegenüber dem Vorjahr zurückgehen wird, was einen Rückgang von fast 30 % für das gesamte Jahr bedeutet. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Lagerbestände zum Jahresende die Bestände zum Jahresende 2021 übersteigen werden. Infolgedessen wird sich der Lagerabbau bis ins Jahr 2023 fortsetzen, wobei die LME-Importe ohne Molke um weitere 10 Prozent sinken werden. Nichtsdestotrotz wird China, sofern es in nächster Zeit keine geopolitischen Auswirkungen gibt, bis mindestens 2030 der größte Milchimporteur der Welt bleiben.
Der chinesische Milchsektor wird nicht mehr wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten vom Markt für Säuglingsnahrung dominiert werden, sondern vom Markt für sog. Active Silvers (d. h. Menschen über 50 Jahre).