Das Berliner BMEL will die Position der Milcherzeuger stärken. Dagegen ist aus Erzeugersicht sicherlich nichts einzuwenden, angesichts des immer größer werdenden Machtgefälles in der Wertschöpfungskette Milch. Erreicht werden soll dies über noch verbindlichere Lieferverträge, die über den bisher weit verbreiteten Status Quo zumindest bei vertragsgebundener Vermarktung hinausgehen sollen. Geregelt werden soll dies über den Artikel 148, Absatz 2 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO). Seit wenigen Tagen liegt nun ein Referentenentwurf des BMEL zur Änderung der Agrarorganisationen- und Lieferketten-Verordnung (AgrarOLkV) vor.
Das Thema „Lieferbeziehungen“ beschäftigt die Milchbranche schon seit mehreren Jahren. Mit dem vorliegenden Entwurf, nach dem für 80 Prozent der Milch Verbindlichkeit bei Menge und Milchpreis festgelegt bzw. zumindest ein verbindliches Angebot vorgelegt werden werden soll/muss, sind aber jetzt sogar die Befürworter aus den Reihen der Milcherzeugerschaft nicht wirklich zufrieden. Manchen geht die Vorlage nicht weit genug, aber auch zu viele Fragen in der Umsetzung sind nach wie vor offen. Aus Erzeugersicht sollte die Erwartungshaltung auch nicht zu euphorisch sein: Die Verlautbarung aus dem BMEL, die Nutztierbestände drastisch (um die Hälfte?) reduzieren zu wollen, stehen ebenso im Raum wie die Änderung des Tierschutzgesetzes. Wenn nach langen und intensiven Gesprächen ein kaum veränderter Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes vorgelegt wird und damit ein noch nie dagewesener Strukturbruch in Kauf genommen würde, lassen die aktuelle Initiative zur Unterstützung der Erzeugerseite bei der Vermarktung doch in einem etwas anderen Licht erscheinen. Zumal der Nutzen selbst in Frage gestellt wird: Die Staatssekretärin im BMEL, Silvia Bender, hat kürzlich freimütig eingeräumt, dass der Milchpreis für die Erzeuger allein durch Art. 148 nicht steigen werde!
Auf die konträren politischen Positionen soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Nur so viel: Der DBV und seine Landesbauernverbände haben sich ebenso gegen diesen politischen Eingriff in die Lieferbeziehungen ausgesprochen wie die Molkereiverbände (MIV, DRV und IG Milch). Diese Position entspricht im Übrigen den Vereinbarungen der Sektorstrategie der deutschen Milchwirtschaft vom Januar 2020. Dem gegenüber steht die Position von BDM, LsV, MEG Milchboard, Freie Bauern sowie der AbL, die diesen BMEL-Vorstoß begrüßen.
Zu hinterfragen ist auf alle Fälle der nicht eben demokratische Weg, der seitens des BMEL in dieser Causa bisher beschritten wurde: Die Entscheidung ist nämlich Ausfluss der BMEL-Zukunftskonferenz Milch am 31. August 2023 in Berlin, in dessen Verlauf die Mehrheit der vom BMEL eingeladenen Teilnehmer in den Arbeitsgruppen zu ganz anderen Ergebnissen kamen. Leider stand das Ergebnis wohl bereits im Vorfeld der Veranstaltung fest. Fachliche und Folgen abschätzende Expertisen von Wirtschaftsprofessoren oder dem Thünen-Institut im “working paper 215”, wurden bei der politischen Entscheidung nicht herangezogen. Mit dem im Februar herausgegebenen 4-Punkte-Plan und dem bereits erwähnten Referentenentwurf vor wenigen Tagen hat das BMEL nun vorläufig Fakten geschaffen. Die politischen Diskussionen sind bereits wieder intensiv im Laufen, derzeit steht allerdings auch noch eine Ressortabstimmung in Berlin an. Und die Hürde Bundesrat muss dieser Vorstoß auch noch meistern.
Ungeachtet der weiteren politischen Entwicklung interessiert die in der Vermarktung Verantwortung tragenden Akteure, auf was sie sich bei Umsetzung nun einstellen müssen. Und es stellen sich noch sehr viele Fragen, die vor allem von Verantwortung getragen werden und keineswegs das Ziel haben sollen, Unsicherheiten zu verbreiten oder “einzuschüchtern”, wie es in der Vergangenheit bei derartigen Diskussionen von so manchen Verbandsideologen gerne suggeriert wurde! Offen ist vor allem, inwieweit die von Milcherzeugern getragenen Genossenschaften von dieser Neuerung tangiert sein werden, die bundesweit in der Vermarktung einen Anteil von rund 70 Prozent verantworten. Gerne wird von den Befürwortern von verbindlicheren Vereinbarungen derzeit das Beispiel Deutsche Milchkontor (DMK) angeführt, das wiederum nicht zu vergleichen  ist mit überwiegend  “lupenreinen” Genossenschaften in Bayern und dem benachbarten Baden-Württemberg.
Und auch beim zweiten Ast der Vermarktung ist Bayern massiv betroffen: Mehr als 50 Prozent der Milch wird über Milcherzeugergemeinschaften (MEG´s) und Milchliefergenossenschaften (MLG) resp. deren Dach, die Bayern MeG, über privatrechtliche Verträge vermarktet. Seit mehr als 50 Jahren agieren die MEG´s und MLG auf der Grundlage des (Agrar) Marktstrukturgesetzes mit Verträgen (und eben nicht mit “Handschlag”). Und in diesen Verträgen sind Qualitäten und Laufzeit der Vereinbarungen schon immer definiert. Und auch die Milchpreise sind ein Stück weit fixiert. Sehr häufig dienen AMI-Niveau (auf Basis definierter Regionen oder vergleichbarer Verwertungen) bzw. BLE-Niveau (“amtlicher” Milchpreis Bayern) als preisliche Grundlage – plus verhandelte Zuschläge. Lediglich die Menge wurde und wird bei den allermeisten Lieferantenverträgen noch nicht verbindlich geregelt: Erfaßt wird und abgeliefert werden muss von den Milcherzeugern die gesamte Rohmilch, die nicht dem Eigenverbrauch oder zur Verfütterung dient. Diese Vertragsgrundlage ist von den Milcherzeugern ausdrücklich und mehrheitlich gewünscht, auch im Zuge der Weiterentwicklung der Milchvermarktung unter dem Dach der Bayern MeG, die ja weit über  das MEG-Kernland Bayern hinaus in fast allen Bundesländern ihre Mitglieder hat. Auch auf dieser Vertragsgrundlage darf festgehalten werden, dass die Milcherzeuger also keineswegs ihre Rohmilch „ins Blaue hinein“ abliefern und erst Wochen später den Milchpreis erfahren. Zudem verhandelt die Bayern MeG seit längerem bereits Preisvereinbarungen in der Regel für ein (Folge) Quartal im Voraus.
Was soll sich nun ändern, wenn neben Qualitäten und Laufzeit auch noch eine verbindliche Menge und ein verbindlicher Milchpreis festgelegt werden müssen? Von den Befürwortern des Art.148 wird unumwunden kommuniziert, dass neben der verbesserten Verbindlichkeit auch ein Stück weit „Mengenmanagement“ betrieben werden soll. Eine verbindliche Milchmenge bedeutet aber nicht nur eine Deckelung der vermarkteten Milchmenge nach oben, sondern wirft unweigerlich auch die Frage nach den Folgen auf, wenn die Erzeugerseite die vertraglich zugesagte Milchmenge aus welchen Gründen auch immer nicht beliefern kann. Und auch eine verbindliche Preisvereinbarung, die übrigens immer auf Gegenseitigkeit beruhen muss, droht erst einmal mit einem Sicherheitsabschlag belegt zu werden. Denn den Lebensmitteleinzelhandel wird auch zukünftig kaum interessieren, welche Preisvereinbarungen die Molkereien mit den Milcherzeugern abgeschlossen haben. Und auch die Volatilität auf den globalen Märkten wird sich durch das BMEL kaum beeinflussen lassen. Märkte und somit der Milchpreis werden eben nicht mehr nur durch die Milchmengen allein bestimmt, sondern auch durch eine Vielzahl weiterer Faktoren externer Akteure und Ereignisse. Die sicher mit einem Augenzwinkern versehene Antwort von ZMB-Geschäftsführerin Monika Wohlfarth auf dem jüngsten Berliner Milchforum nach einer Prognose für den Milchpreis 2024 gibt den schwierigen Blick in die Glaskugel ganz gut wieder: „Zwischen 39 und 55 Cent“. Und dem sei hinzugefügt, dass es den einen Milchpreis ja auch nicht mehr gibt, bei allen den bekannten Milchpreisdifferenzierungen. Fragen über Fragen, die sich die Marktakteure stellen – und nur eines befürchten: Außer Spesen (= Mehraufwand resp. Bürokratie) nichts gewesen.