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Warum verliert Bio an Zuspruch?

Datum: 09.09.2022Quelle: VMB

Der Absatz für Bioprodukte im Allgemeinen und bei Milchprodukten im Besonderen erfährt seit einigen Monaten ziemlichen Gegenwind. „Bio-Bashing“ ist hier absolut fehl am Platz, obwohl dies bei so manchen Beitrag auch in der Fachpresse durchzuklingen scheint. Aber eine realistische Analyse der gegenwärtigen Situation und die daraus notwendigen Schlussfolgerungen sind allemal angebracht. Die noch im Vorfeld der diesjährigen Biofach von Politik und manchen Verbänden auf der Basis der Absatzzahlen des ersten Halbjahres vorgebrachten Statements waren dem üblichen Zweckoptimismus geschuldet. Die aktuellen Probleme werden so schnell nicht ausgestanden sein. Und abgerechnet wird bekanntlich nicht über Umfragen, sondern über Nachfragen.
Dabei hat die Biobranche doch in der Vergangenheit fast alles richtig gemacht: Der Absatz konzentrierte sich fast ausschließlich auf den heimischen Markt und hier den privaten Konsum. Negativ behaftete Worte wie „Kampf um Marktanteile“ oder „Exportorientierung“ gab es in diesem stetig wachsenden Segment kaum. Bei der Nachfrage war eine gesunde Entwicklung zu verzeichnen, die im Übrigen auch noch verantwortungsvoll begleitet worden ist: Da der Bio-Markt eben ein nicht globaler und deswegen überschaubarer ist, wurde auf der Ebene von Erzeugern mit Verarbeitern eine sinnvolle Mengensteuerung betrieben. Drohte das Angebot die Nachfrage zu übersteigen, wurden „Interessentenlisten“ gebildet. Der Marktzugang war erst dann wieder möglich, wenn keine Marktverwerfung auf Kosten des Erzeugerpreises drohte. Seit 2007, also seit gut 15 Jahren hatte sich der Biomilchpreis von den weltmarktbedingten Schwankungen der konventionellen Schiene abgekoppelt. Aber jetzt fehlt dem Biomilchmarkt angesichts der Kostenexplosion die dringend benötigte Dynamik bei den Milchpreisen.

Was läuft dann schief in deutschen Landen, wo doch Corona der Biobranche nochmals einen deutlichen Schub nach vorne versetzt hat. Und bereits vorher füllte sich die Biobranche mit der Kooperation zahlreicher Anbauverbände mit den Lebensmittelhändler auf einem guten Weg. Aber spätestens mit Beginn des Ukrainekonflikt ist eben vieles anders: Nicht überraschend haben Mehrwerterzeugnisse angesichts des um sich greifenden Gespenstes „Inflation“ einen schwereren Stand. Aber auch der Lebensmittelhandel spielt mit seiner Preispolitik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch in (Corona) Zeiten sehr guter Nachfrage bei noch weitgehend unveränderter Kaufkraft wurden die Endverbraucherpreise (EVP) kaum erhöht. Der Slogan „Bio für alle“ wurde möglicherweise übertrieben. Und jetzt, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt werden zum Teil Preissprünge vollzogen, die einen eher abschreckenden Effekt beim Verbraucher haben. Der Mensch ist auch beim Einkauf ein „Gewohnheitstier“, was übrigens gar nicht nur negativ sein muss. Und dabei hat sich im Verbraucherhirn ebenso fest eingebrannt: Bioprodukte sind (wesentlich) teurer als konventionell erzeugte. Und die Eigenmarken des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) sind preisgünstiger als Herstellermarken. All das stimmt bei weitem nicht mehr, wenn man die Entwicklung der letzten Monate im Kühlregal genau verfolgt!

Begonnen hat es Ende Juni mit den neuen Kontrakten zwischen Molkereien und dem LEH für die Produkte der weißen Linie, vor allem bei Konsummilch. Dies führte zu einer Preisanhebung seit dem letzten Kontrakt um 29 Cent. Ähnliche Preissprünge wurden bei Sondermilchen wie Weidemilch oder der Milch mit dem Label des Deutschen Tierschutzbundes vorgenommen. Höchst überraschend für Marktbeobachter und auch Branche waren aber die Anpassungen bei der Biomilch. Dort verteuerte sich der Tetrapak Vollmilch von bisher 1,15 Euro/l gleich um 50 Cent auf jetzt 1,69/l. Um die Dimension richtig einordnen und einen Vergleich anstellen zu können. Noch heute werden bekannte Herstellermarken für Biomilch aus Bayern, ob nun aus Piding aus Andechs oder der Solidargemeinschaft Unser Land preisgünstiger angeboten als Biomilch, Eigenmarke der Lebensmittelhändler.
Ähnlich verrückt und wohl den Verbraucher eher verwirrend sieht es bei Butter aus: Dort waren die Eigenmarken für Biobutter über einen sehr langen Zeitraum von mehreren Jahren (!) bei stabil 2,29 Euro/250 g im Angebot gelegen.  Erst im April 2022 begann auch bei der Biobutter der Eigenmarke die Preis-Rallye, stieg der EVP auf 2,69 Euro/250 g.  Mitte Mai folgte die nächste Erhöhung auf 2,99 Euro und im Juli auf den jetzigen EVP von 3,29 Euro/250 g. Das wirklich überraschende ist, dass nach wie vor die Bio-Eigenmarken teurer sind als bekannte Bio-Herstellermarken wie, man darf an dieser Stelle die Marken nennen, Andechser Bio-Almbutter oder die Berchtesgadener Bio-Alpenbutter, die nach wie vor für um die 3 Euro/250 g im Kühlregal liegen. In der Tat ein Paradoxon: Die ehemals Billigbutter “bio” teurer als Bio-Markenbutter! Hier geht es also bei der Analyse des Kaufverhaltens nicht um “bio” oder “nicht bio”, sondern sogar um eine mögliche Verschiebung der Butternachfrage zugunsten der Bio-Herstellermarken – falls der Verbraucher logisch-ökonomisch und nicht nach Gewohnheit einkauft! Auch wenn natürlich EVP keine Milchpreise darstellen. Aber ohne Anhebung der EVP sind auch nur schwerlich Anhebungen der Milchpreise für die Milchbauern möglich. Nachdem jetzt bei zwei maßgeblichen Eckartikeln des Biosortiments kräftige Preisanpassungen nach oben erfolgt sind, müssten diese sich zumindest bereits auch bei den Biomilchpreisen widerspiegeln. Dem ist aber noch nicht so: Zuletzt ist in Bayern die Differenz zwischen konventionellem und Biomilchpreisen nochmals zusammengeschrumpft, auf 3,9 Cent/kg.

Denn es gibt auch noch Beispiele, bei denen die EVP konventionell erzeugter Ware bereits das Niveau des Biosegments erreicht haben. Beispiel ist ein Eckartikel aus dem Sortiment Käse, bei Mozzarella im 125 g Gebinde, Eigenmarken des Handels! Mitte Mai dieses Jahres hat der LEH bei besagtem Produkt nach zwei Jahren “Preisstabilität” eine Preisanpassung nach oben vorgenommen. 20 Cent mehr, für 79 Cent lag fortan die 125 g Kugel der Eigenmarken aus konventionell erzeugter Kuhmilch im Kühlregal. Und Mitte August legten die Händler nochmals nach, erhöhten auf 89 Cent. Die eigentliche Überraschung: Aktuell kosten die Eigenmarken sowohl “Standard”, “light” und auch “bio” den gleichen Preis, 0,89 Euro/125 g. Liegt es nur an den noch laufenden Kontrakten für die Bio-Mozzarella?

Auf die Auswirkungen derartiger Preismanöver seitens des Handels darf man gespannt sein. Solche Extreme hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Den Biomilcherzeugern ist zu wünschen, dass sich kein zu gravierender Rückgang im Verbrauch ergibt. Und bei manchmal an den Tag gelegten Konkurrenzdenken zwischen konventionell und bio, Stichwort 30 Prozent Öko-Anteil, sollten alle Milcherzeuger bedenken: Beide Milchen sind und bleiben weiß. Und wenn sich die Milchbranche zu sehr in der Frage verheddert, wer „besser“, „tierfreundlicher“ oder „umweltverträglicher“ Milch produzieren würde, verkennt eine nicht ganz ungefährliche gesellschaftliche Entwicklung. Der Kreis der Konsumenten, die aus ethischen Gründen tierische Erzeugnisse und somit auch von Milch ablehnt, scheint immer progressiver zu werden. Das sollte der gemeinsame Nenner sein, neben auskömmlichen Preisen!

 

Abb.: Colourbox

Dr. Hans-Jürgen Seufferlein / VMB

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