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Haltungsform: Verzögerungen im Betriebsablauf

Datum: 23.04.2022Quelle: VMB

Dass „Tierwohl“ als Trendthema in der Gesellschaft und der öffentlichen Meinung(sbildung) allgegenwärtig ist, läßt sich nun wahrlich nicht mehr abstreiten. Daran können auch zwei Jahre Corona-Pandemie und die bisher bereits spürbaren, aber bei weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange erreichenden Auswirkungen des Krieges in der Ukraine nichts ändern. Fakt ist, dass am Markt mit Machtfülle ausgestattete Akteure sich Trends gerne und schnell zunutze machen wollen. Denn Trends generieren Absatz, Umsatz, Gewinne und manchmal auch einen Imagegewinn für den, der sich dieses Mainstreams rechtzeitig bedient. Genau das hat wohl auch der deutsche Lebensmitteleinzelhandel (LEH), organisiert in der Initiative Tierwohl (ITW), mit seinem Vorhaben im Sinn, ab 2022 für Rindfleisch und Milch die Auslobung der Haltungsformkennzeichnung auf Verkaufsprodukten einführen zu wollen. Begonnen sollte mit den Eigenmarken des LEH werden, bei den Milchprodukten mit der Konsummilch. Sollte, sei ausdrücklich besonders betont. Denn knapp einen Monat nach Inkrafttreten der Branchenvereinbarung hat sich im Kühlregal noch recht wenig getan. Und viele Fragen sind noch offen, für die Milcherzeuger (Stichwort Monitoring-Programme) wie für Verbraucher gleichermaßen. Und trotzdem nimmt die Dynamik in diesem Prozess der Haltungsformkennzeichnung nicht ab, vor und hinter den Kulissen. Aber die aktuellen Verzögerungen im Betriebsablauf haben auch ihr Gutes, könnten bei dem ein oder anderen treibenden Akteur doch noch zu einem Denkprozess führen.

In den Kühlregalen hat sich bezüglich Auslobung der Haltungsform bis dato noch recht wenig getan. Grundsätzlich ist vorgesehen, dass die Haltungsform von Milchkühen künftig auf den Packungen von Milch und Milchprodukten nachvollziehbar ist. Die Grundlage liefern die Zertifizierungen nach QM+ (QM Milch e. V:), DLG-Tierwohl (DLG), „Für mehr Tierschutz“ (Deutscher Tierschutzbund), die Richtlinien der Bioverbände oder andere vom LEH zugelassene Programme.
Bereits seit einigen Monaten schon werden von den führenden Handelsketten, allen voran Aldi und Lidl, teilweise auch bei Edeka und Rewe, Konsummilchen nach den Kriterien des Deutschen Tierschutzbundes sowie die Biomilch mit der Haltungsform angeboten. Hier scheint auch für den Verbraucher die Einsortierung noch recht leicht nachvollziehbar: Konsummilch, zertifiziert nach den Kriterien des Deutschen Tierschutzbundes „Für mehr Tierschutz“, werden in Haltungsstufe 3 einsortiert, wenn sie den Standard (1 goldener Stern) erfüllen. Haltungsstufe 4 erreichen Milchen vornehmlich auf der Grundlage der Kriterien der Bioverbände sowie die Premiumstufe (2 goldene Sterne) des deutschen Tierschutzbundes..
Noch immer nicht gelistet sind dagegen Milchen, die von den beiden weiteren Zertifizierungen, von QM+ (organisiert von QM-Milch e.V.) und DLG-Tierwohl (organisiert von der DLG) veranlasst werden. Ende vorletzter Woche wurde für die LEH-Haltungsform Stufe 2 in der Milchviehhaltung das Programm „DLG-Bronze“ anerkannt. Somit gibt es nun einen direkten Wettbewerb zum Programm QM+, wobei nach vorliegenden Informationen DLG-Tierwohl jedoch kein einheitliches Finanzierungsmodell für die teilnehmenden Landwirte vorsieht.  Von süddeutschen Molkereien zwischen Schwarzwald und Ostbayern ist gegenwärtig zu hören, dass es mit der Auslobung der Haltungsform noch dauern könnte, möglicherweise sogar bis zum Beginn der neuen Kontraktlaufzeit ab Juli.

Wie bereits beschrieben, ist die Initiative des LEH zuvorderst auf deren Eigenmarken, z.B. „Milsani“ bei Aldi oder “Milbona“ bei Lidl  fokussiert. Hier haben die Händler das Sagen und das Heft in der eigenen Hand. Die Herstellermarken der Molkereien, von denen es auch in Bayern sowohl für konventionell wie ökologisch erzeugte Milch eine ganze Reihe von gewichtigen und starken Marken gibt, sind nach VMB-Informationen noch am Überlegen, wie sie auf die Initiative des LEH reagieren. Denn die bereits erwähnte Branchenvereinbarung, in der sowohl der Zuschlag für die Milcherzeuger wie auch die Kosten für die Verarbeiterseite geregelt sind, gilt eben für die Molkereimarken nicht. Es steht die Frage im Raum: Können die Molkereien bei ihren eigenen und beim Verbraucher anerkannt starken Marken auf die Auslobung der Haltungsform verzichten?  Reicht es, wenn die betroffenen Molkereien mit ihrer bisher angewandten individuellen Marketingstrategie in den Wettbewerb mit den EH-Haltungsformstufen gehen? Denn im Bereich Konsummilch wird der Kampf wohl nicht nur über die Haltungsform ausgetragen, zumindest kurzfristig: Denn die Teuerungsrate mit steigenden Kosten könnte manchen Verbraucher wieder zum Sparfuchs werden lassen, der die Herstellermarken zugunsten der LEH-Eigenmarken eintauscht. Und nicht zu vergessen: Die Haltungsformen des LEH unterliegen einem laufenden Wandel, der LEH gibt hier keine Geltungsdauer vor! Der LEH wird wird wohl auch weiterhin an den Kriterien “arbeiten” wollen.

Mittlerweile droht allerdings aus der Haltungsformkennzeichnung ein konfuses Label-Labyrinth zu werden, weil der deutsche Föderalismus auch bei dieser Initiative seine bunten Blüten treibt. Der LEH hat bereits vor knapp 10 Jahren auf marktwirtschaftlicher Ebene die Initiative Tierwohl (ITW) gegründet, um mittels seiner Haltungsform-Label dem Verbraucher auf einen Blick vermitteln zu können, wie viel Tierwohl in einem Produkt steckt. Das Haltungsform-Label sollte dem Verbraucher eine einfache Orientierung geben und die bewusste Kaufentscheidung unterstützen, gleichzeitig auch das Tierwohl fördern. Während aber bei Eiern die 0 für Ökohaltung und 3 für Käfighaltung aufgedruckt steht, musste die Verbraucherschaft bei der Haltungsformkennzeichnung des LEH umdenken: So steht die 1 für Stallhaltung (inklusive Anbindehaltung) und die 4 für den ganzjährig nutzbaren Laufhof (alternativ: Weidehaltung) bzw. für die Bioschiene.. Damit aber die Verwirrung komplett werden könnte, hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kürzlich seine Überlegungen für die im Koalitionsvertrag verankerte Einführung einer staatlichen Haltungskennzeichnung vorgestellt. Und hat sich dabei für die bei der Eierkennzeichnung gewählte Variante entschieden. Soll heißen: Bei der Haltungsform könnte es zukünftig eine (staatliche) 3 geben, die genau das Gegenteil von der (marktwirtschaftlichen) 3 des LEH bedeutet. Armer Verbraucher! Und von den Milcherzeugern, die derzeit überlegen, ob sie angesichts des nur marginalen Zuschlags von 1,2 Cent an den Tierwohl-Programmen, aktuell an QM+ teilnehmen sollen, teilweise sich schon mit dem gar noch nicht verabschiedeten Kriterien für QM++ beschäftigen, wurde in diesem Beitrag noch gar nicht gesprochen.

Roland Sossna / moproweb

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