x
Foto: Leerdammer

Kontrakte öffnen?

Datum: 18.03.2022Quelle: VMB

Kaum zu glauben, aber Realität: Zwei Jahre “leben” die einzelnen Menschen und die gesamte Gesellschaft nun schon mit dem Corona-Virus. Und jetzt kommt noch – ohne kausalen Zusammenhang – der kriegerische Konflikt in und um die Ukraine dazu. Dies alles hat und wird weiter seine Spuren hinterlassen. Viele gesellschaftliche Normalitäten und wirtschaftliche Selbstverständlichkeiten wurden bereits und werden weiter in Frage gestellt. Prioritäten werden verschoben, obwohl dies noch nicht bei allzu vielen angekommen zu sein scheint. Kurz: Für die einen geht es ums pure Überleben, für die anderen um die Fortsetzung des “normalen” Lebens. Und zum normalen Leben gehören existenziell Lebensmittel und zur Erzeugung von Lebensmitteln die Landwirtschaft, bevorzugt die heimische. Erstaunlich, dass in diesen Tagen das Wort “Systemrelevanz” nirgends erkennbar auftaucht. Abgelöst durch Ernährungssicherheit und Versorgungsengpässe – bei Nahrungsmitteln.

Damit aber die Landwirtschaft weiter Lebensmittel erzeugen und für die Wertschöpfungskette bereitstellen kann, muss dies ökonomisch machbar sei, sich also rechnen. Und: Für die Erzeugung hochwertiger Nahrungsmittel braucht es “Betriebsmittel”, die sich aber in einem unvorstellbaren Maße verteuert haben, geradezu explodiert sind – oder gar nicht mehr verfügbar sind. Damit treten jahrzehntelang hitzig geführte Diskussionen um faire Preise für die erzeugten Produkte etwas in den Hintergrund, nachdem in den vergangenen Wochen wie Phönix aus der Asche auch am Schweinemarkt eine Trendwende eingetreten zu sein scheint.

Am Milchmarkt haben sich in den vergangenen Monaten die Auszahlungspreise auch deutlich verbessert. Allerdings ist eine immer stärkere Spreizung bei den einzelnen Verwertungen festzustellen, die Milchauszahlungspreise triften immer weiter auseinander. Gerade die Molkereien, die mit einem hohen Prozentsatz ihre Produkte an den deutschen Lebenseinzelhandel verkaufen, liegen dabei im Auszahlungsniveau auf den hinteren Rängen. Und bei den Kontraktabschlüssen in den vergangenen knapp 12 Monaten hat es für Milch-und Milchprodukte nur leidliche Anpassungen gegeben. Zu wenig, um die Milchauszahlungspreise auf ein marktkonformes und für die Milcherzeuger ausreichendes Niveau anheben zu können. Die Kontraktlaufzeiten zwischen Molkereien sind in letzter Zeit wieder heterogener geworden. Doch ist aktuell festzuhalten, dass wesentliche Kontraktlaufzeiten noch zu lange Gültigkeit haben, um der immer schwieriger werdenden Situation auf den Betrieben gerecht zu werden..

Anfang der Woche hat die Fleischbranche einen Not-Brief an die Abnehmerseite gerichtet, mit der unmissverständlichen Botschaft: Die Preise müssen angehoben werden, und zwar umgehend. Laufende Kontrakte sollen hier keine Rolle spielen. Stichwort: Force Majeure, also “höhere Gewalt” wurden als Begründung nachgeschoben! Nun, Mitleid mit großen Teilen der Fleischbranche sind nicht angebracht, angesichts deren Umgang als Marktpartner der Landwirtschaft in Zeiten von Schweinepest und Corona. Ob nun dieser Hilferuf der Ausgangspunkt war, dass in diesen Tagen von Aldi gemeldet wurde, die Preise für 400 (!) Lebensmittel anzuheben, sei dahingestellt. Dies erfolgte übrigens bereits sukzessive in den vergangenen vier Wochen, steht aber aktuell erst in der Zeitung! Wichtig aber: Für Milch-. und Milchprodukte wurden in den vergangenen Monaten, von der ziemlich exklusiv vom VMB kommunizierten Anhebung der Preise bei Konsummilch um 5 Cent/Liter Mitte Februar und den bekannten Preisanpassungen bei Markenbutter abgesehen, keine sichtbare Veränderungen registriert.

Für die Milchbranche stellt sich jetzt angesichts des Notstandes die Frage, ob auch sie vehement die Öffnung der bestehenden Kontrakte fordern solle. Einige voreilige Fürsprecher haben dies in jüngster Vergangenheit schon lautstark getan, sehen aber natürlich immer nur die eine Seite, die derzeit unweigerlich für ein derartiges Vorgehen spricht. Es gibt aber genug beispielhafte Situationen aus der Vergangenheit, wo das Prinzip “pacta sunt servanda” (Verträge sind einzuhalten), die Milcherzeuger vor noch stärkeren Preisabstützen abgesichert haben. Dies gilt es bei einer verantwortungsvollen Entscheidung zu bedenken!

Wie eingangs schon erwähnt, gibt es für die aktuelle Situation keine Blaupause, macht möglicherweise andere Denk- und Vorgehensweisen zwingend notwendig. Denn es ist davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen auf der Kostenseite für die Milcherzeugung und auch die Milchverarbeitung sich in absehbarer Zeit nicht entscheidend entspannen. Soll heißen: Auch wenn die Milchpreise sich in den kommenden Monaten zwischen 45 und 50 Cent einpendeln sollten, wird der Kostendruck und auch die Verfügbarkeit von notwendigen Betriebsmitteln nicht nachlassen und zum Handeln zwingen. Deswegen stehen jetzt für die Milchbranche in ganz naher Zukunft zwei wesentliche Entscheidungen an: Auf der Futtermittelseite die Engpässe bei GVO-freier Ware und hier speziell auf der Eiweißseite. Konkret geht es hier um die Öffnung der bekannten VLOG-Regelungen. Und es geht um eine Öffnung von laufenden Kontrakten zwischen Molkereien und dem Lebensmitteleinzelhandel auf der Grundlage von Einflüssen durch “höhere Gewalt”. Ob dies ausreichend wäre, um das derzeitige Milch-Malheur trotz bald historisch hoher Milchpreise zu beheben, können nur Hellseher beantworten.

 

Foto: Leerdammer

Dr. Hans-Jürgen Seufferlein / VMB

Artikel mit Bildern drucken Artikel ohne Bilder drucken

Newsletteranmeldung

Bitte geben Sie Ihre Daten an.
Felder mit * sind Pflichtfelder.
Bitte wählen Sie die passenden Newsletter aus:
Datenschutz:

Newsletterabmeldung

Die Abmeldung von unseren Newslettern ist über den Abmeldelink am Ende jedes Mailings möglich.